Medienservice vom: 21.11.2019 |Fotos zum Medienservice

Erinnerungszeichen für NS-Opfer in Linz Juryentscheid für Andreas Strauss

Als eine der ehemaligen „Führerstädte“ hat Linz in Hinblick auf seine nationalsozialistische Vergangenheit eine ganz besondere Verantwortung. Diese findet insbesondere Ausdruck im Gemeinderatsbeschluss des Jahres 1996, in dem sich die Stadt zur umfassenden wissenschaftlichen Aufarbeitung der Zeit des Nationalsozialismus inklusive der Geschichte der Entnazifizierung nach 1945 bekannt hat. 

Dieser Aufgabe hat sich Linz in den letzten Jahren in vorbildhafter Weise gestellt und tut dies in einem fortwährenden Prozess bis heute. Federführend dabei ist das Archiv der Stadt Linz, das in einer Reihe von Publikationen und Ausstellungen das Thema Nationalsozialismus sowie seine Vor- und Nachgeschichte aufgearbeitet hat und weiter aufarbeiten wird.

Ein weiterer Schritt in Richtung Aufarbeitung und Sichtbarmachung der nationalsozialistischen Geschichte von Linz stellt nun die Umsetzung eines personalisierten Erinnerns an NS-Opfer im öffentlichen Raum der Stadt dar. Nach längerer Diskussion auf politischer Ebene und unter Einbindung der Israelitischen Kultusgemeinde Linz hat man sich entschlossen, dabei einen eigenständigen Weg zu gehen. Auf Basis eines im Jänner heurigen Jahres einstimmig gefassten Gemeinderatsbeschlusses wurde dazu seitens der Direktion Kultur und Bildung ein geladener Wettbewerb ausgeschrieben. Von den fünf zum Wettbewerb geladenen GestalterInnen hat der Entwurf „Erinnern…“ des Künstlers Mag.art Andreas Strauss die Jury mit seiner Konzeptidee überzeugt.

„Die Stadt Linz beschäftigt sich seit Jahren auf vielfältige Weise mit ihrer dunklen Vergangenheit. Für die Aufarbeitung wurden bereits zahlreiche markante Projekte umgesetzt. Mit den Erinnerungszeichen beschreiten wir einen weiteren wichtigen Weg, damit das Geschehene und vor allem die Opfer nicht vergessen werden. Und: wir kopieren keine anderen Systeme, sondern schaffen durch das Projekt des Künstlers Strauss etwas Innovatives und Einzigartiges in Europa“, sagt Bürgermeister Klaus Luger.

„Der Gemeinderat hat nach einer immer wiederkehrenden Diskussion im Jänner einstimmig beschlossen, dass Linz über einen jurierten Wettbewerb eigene Erinnerungszeichen für die NS-Opfer gestalten und umsetzen will. Das Siegerprojekt von Andreas Strauss und auch die Umsetzung mit der Lehrwerkstätte der voestalpine sind eine sehr bemerkenswerte Erfüllung dieses Gemeinderatsbeschlusses,“ freut sich Kulturstadträtin Doris Lang-Mayerhofer.  

Gestaltungskonzept von Andreas Strauss

Im Zentrum des Gestaltungskonzepts von Andreas Strauss steht die Klingel als mehrdeutige Metapher des Erinnerns.

Das Erinnerungsobjekt wird aus Messing gefertigt sein und in bzw. in der Nähe von Straßenzügen aufgestellt werden, wo NS-Opfer ihre letzte, frei gewählte Wohnadresse hatten. Das Objekt ist als Stele mit glatter Oberfläche formal schlicht gehalten. Mit den Maßen 1,5 m Höhe, 35 cm Breite und ca. 4 cm Tiefe fügt es sich gut in den Stadtraum ein. In das Objekt werden die Wohnadressen der NS-Opfer mit den jeweils zugeordneten Namen, Geburts- und Todesdaten bzw. auch Deportations- und Fluchtdaten graviert. Direkt neben den Namen sind mechanische Türklingeln angebracht, die, wenn man sie drückt, einen leisen Klingelton erzeugen. Die Stelen werden über eine vorgefertigte Bodenplatte im Boden verankert und im öffentlichen Raum positioniert.

In einem ersten Umsetzungsschritt ist für das Jahr 2020 geplant, ca. 20 Stelen in Linz aufzustellen, wobei hier zunächst jene Straßenzüge berücksichtigt werden, wo jüdische NS-Opfer gelebt haben. Die Stelen sind prinzipiell so konzipiert, dass später auch Namen jener Opfer, die bislang nicht bekannt sind, jederzeit ergänzt werden können.

Gestaltungs-Wettbewerb für eigenständiges Linzer Gedenken

Dem Gestaltungswettbewerb „Erinnerungszeichen für NS-Opfer in Linz“ ging ein mehrmonatiger Diskussionsprozess von Seiten der Stadt mit der Israelitischen Kultusgemeinde Linz über die Vorgehensweise voraus, wie eine Gestaltungsidee für personalisierte und permanente Erinnerungszeichen für NS-Opfer, insbesondere das Gedenken an verfolgte und ermordete Jüdinnen und Juden, im öffentlichen Raum in Linz gefunden werden könnte. Auch die Friedensinitiative Linz und der Stadtkulturbeirat Linz haben sich an dieser Diskussion sehr produktiv beteiligt.

Nach dem Gemeinderatsbeschluss am 24. Jänner wurde im Mai 2019 ein nationaler, geladener Wettbewerb ausgeschrieben, der eine Einreichung von Erinnerungszeichen mit verschiedenen Positionierungsvarianten vorgesehen hat: Einerseits die Gestaltung personalisierter Erinnerungszeichen, die direkt bei den Wohnadressen der NS-Opfer positioniert werden können, und andererseits ein Gestaltungselement pro Straßenzug, das all jenen NS-Opfer, die in dieser Straße wohnhaft waren, gedenkt.

Die zehnköpfige Wettbewerbsjury erarbeitete die Wettbewerbsunterlagen und nominierte folgende Persönlichkeiten und Kollektive aus den Bereichen Bildende Kunst, Architektur bzw. Design, die zu diesem Wettbewerb geladen wurden: Iris Andraschek & Hubert Lobnig (Wien), mia2/Architektur ZT KG (Linz), Catrin Bolt (Wien), MARCH GUT Industrial Design OG (Linz) und Andreas Strauss (Ottensheim/Wien).

Juryentscheid und Begründung

Alle eingereichten Konzepte wurden von den fünf geladenen WettbewerbsteilnehmerInnen im Rahmen der Jurysitzung am 30.10.2019 im Atelierhaus Salzamt präsentiert und anschließend von den Jurymitgliedern im Detail diskutiert. Die Jury hat alle Gestaltungsvorschläge grundsätzlich positiv beurteilt und war sich einig, dass diese generell sehr eigenständig und gut aufbereitet waren.

Zwei Konzepte kamen in die engere Auswahl, die in besonderer Weise den gestellten Anforderungen hinsichtlich ästhetischer Gestaltung, Situierung im Stadtraum und Originalität der Idee entsprachen. Mit eindeutiger Mehrheit hat sich die zehnköpfige Jury letztlich für den Entwurf „Erinnern…“ mit dem Element der Klingel des Künstlers Mag.art Andreas Strauss ausgesprochen. Die Begründung der Jury lautet wie folgt:

„Andreas Strauss ist es gelungen, mit der Idee der Klingel eine vielschichtige sowie mehrdeutige Metapher des Erinnerns zu schaffen, die sowohl Assoziationen des Daheim- und Zuhause-Seins hervorruft als auch den Moment des gewaltsamen Abholens beschreibt. Sein schlankes und formal klares Messingobjekt wird durch das interaktive Element der Klingel, die mechanisch bedient werden kann, zu einem originären Objekt. Der Akt des „Anläutens“ stellt einen emotionalen Kontakt zu den Vertriebenen und Ermordeten her und lässt die Grenzen zwischen Vergangenheit und Gegenwart schwinden. Die 35 cm breite Stele mit einer Höhe von ca. 1,5 m fügt sich gut in den Stadtraum ein, bleibt aber als Erinnerungszeichen klar wahrnehmbar und ermöglicht ein Gedenken an NS-Opfer auf Augenhöhe. Weiters eignet sich dieses freistehende Objekt sowohl direkt vor ehemaligen Wohnadressen von NS-Opfern positioniert zu werden als auch stellvertretend für einen gesamten Straßenzug auf einem freien Platz zu stehen. Zudem hat die Jury den Plan des Künstlers, die Erinnerungstafeln gemeinsam mit Lehrlingen im Ausbildungszentrum der voestalpine in Linz herzustellen, sehr positiv bewertet.“

Künstlerbiografie zu Mag. Andreas Strauss

Der in Wels geborene Künstler Andreas Strauss lebt und arbeitet in Ottensheim und Wien. Strauss studierte von 1996 bis 2004 in der Metallklasse bei Helmuth Gsöllpointner an der Kunstuniversität Linz. 2013 erhielt er den Kulturpreis des Landes Oberösterreich.

Sabine Dreher (Universität für angewandte Kunst Wien) beschreibt das Schaffen von Andreas Strauss als „intensive Bewegung zwischen Disziplinen und Orten, die Andreas Strauss seit Jahren als Lebensform und Forschungsmethode praktiziert. Strauss Arbeiten in den verschiedensten Medien und Teamkonstellationen sind oft als Transferleistungen angelegt, in denen Funktionen und Formate aus ihrem angestammten Kontext gelöst und neue Bereiche verschoben werden.“

Strauss ist in Linz und Umgebung im öffentlichen Raum unter anderem mit folgenden „nutzbaren Objekten“ vertreten: dasparkhotel (ursprünglich im Donaupark Linz, heute am Rodlgelände in Ottensheim), der seit 2008 am OK Platz befindliche „froebe“ und der „Multispace“ am Parkdeck 14, ein „Containerhafen“ als Aufenthalts- und Kunstvermittlungsbereich im Rahmen der Ausstellungen „Höhenrausch“ 2018 bzw. „Sinnesrausch“ 2019.

Ein zentrales Referenzprojekt ist die Sandleitendatenbank im 16. Wiener Gemeindebezirk, ein Erinnerungsprojekt, bei dem eine Bank die Geschichte von der gewaltlosen Befreiung Ottakrings im April 1945 erzählt – vermittelt über Gespräche zwischen SchülerInnen und ZeitzeugInnen.

Umsetzung im Ausbildungszentrum der voestalpine in Linz

Junge Menschen in künstlerische Projekte einzubinden und damit direkt Inhalte zu vermitteln, ist Andreas Strauss ein großes Anliegen. Aus diesem Grund ist Teil des Konzeptes „Erinnern…“ die Fertigung der Erinnerungszeichen im Linzer Ausbildungszentrum der voestalpine, die ihre Kooperation bei der Herstellung der Linzer Erinnerungszeichen bereits zugesichert hat. In der direkten Zusammenarbeit des Künstlers mit den Lehrlingen der voestalpine soll der Hintergrund des Projektes und die Erinnerung an die NS-Opfer zusätzlich eine wichtige Rolle erhalten.

Wissenschaftliche Recherchearbeit

Zur Bereitstellung von historischer Expertise begleitet das Archiv der Stadt Linz diesen Entwicklungsprozess. In der ersten Umsetzungsphase der Erinnerungszeichen sollen ausschließlich Stelen für Holocaustopfer im öffentlichen Raum angebracht werden. Dazu wurde als externe Expertin Mag.a Verena Wagner beauftragt, die letzten freiwillig gewählten Wohnadressen möglichst aller etwa 200 Linzer Holocaustopfer auf gesicherter Quellenbasis zu verifizieren. Zusätzlich zu den Holocaustopfern wird zu jenen jüdischen Vertriebenen geforscht, die von der Israelitischen Kultusgemeinde bekanntgegeben werden. Dabei müssen folgende Daten der NS-Opfer recherchiert werden: Wohnadresse, Vor- und Nachname, Geburtsdatum, Sterbedatum oder Datum der Flucht/Deportation, Sterbeort oder Fluchtziel/Deportationsziel. Es ist nicht auszuschließen, dass aufgrund dieser Forschungsarbeit bisher nicht bekannte Holocaustopfer recherchiert werden.

Mag.a Verena Wagner ist evangelische Theologin und arbeitet seit 2001 an der Erforschung der jüdischen Geschichte von Linz und Oberösterreich. Zuletzt ist von ihr im Auftrag des Archivs der Stadt Linz das Buch „Linz 1918 / 1938. Jüdische Biographien“ erschienen.

Wettbewerbsjury

Ausloberin und Bauherrin ist für die Stadt Linz die Direktion Kultur und Bildung mit der Abt. Linz Kultur Projekte. Der Jury unter dem Vorsitz von Kulturdirektor Dr. Julius Stieber gehörten folgende Personen an: Dr.in Charlotte Herman (Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde Linz), Mag. Dr. Martin Kamrat (Vizepräsident der Israelitischen Kultusgemeinde Linz), a. Univ.-Prof. Dr. Michael John (Stv. Vorstand des Instituts für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Johannes Kepler Universität Linz), Dr. Reinhard Kannonier (ehemaliger Rektor der Kunstuniversität Linz), DI Johannes Stitz (Abt. Stadtplanung, Geschäftsbereich PTU), Dir.in Mag.a Hemma Schmutz (Künstlerische Direktorin Museen der Stadt Linz), Dr. Walter Schuster (Leiter Archiv der Stadt Linz ), Mag.a Martina Taig (Geschäftsführerin, KÖR Wien – Kunst im öffentlichen Raum Wien) und Doz.in Dr.in Heidemarie Uhl (Österreichische Akademie der Wissenschaften).

(Informationsunterlage zur Pressekonferenz von Bürgermeister Klaus Luger und Kulturstadträtin Doris Lang-Mayerhofer zum Thema „Linzer Erinnerungszeichen“)

Weitere GesprächspartnerInnen:
Mag.art Andreas Strauss, Künstler
Dr.in Charlotte Herman, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde Linz
Dr. Julius Stieber, Direktor für Kultur und Bildung
 

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