Stadt Linz bekräftigt mit historischer Aufarbeitung ihr Bekenntnis zur LGBTIQ*-Community Wissenschaftliches Projekt erforscht Verfolgung von homosexuellen Personen unter dem NS-Regime und beleuchtet die Zeiten davor und danach
Linz bekennt sich als Rainbow City zur Stärkung und Förderung der LGBTIQ*-Community. Das vor zwei Jahren vom Gemeinderat beschlossene LGBTIQ*-Konzept sieht einen umfangreichen Maßnahmenplan zur Aufklärung und Antidiskriminierungsarbeit vor, darunter auch die historische Aufarbeitung der Verfolgungsgeschichte – insbesondere unter dem NS-Regime. Eine umfassende wissenschaftliche Untersuchung für den Raum Linz fehlt nämlich bislang. Heute gab der Stadtsenat dem Forschungsprojekt grünes Licht.
Seit dem Mittelalter wurde Homosexualität in Österreich verfolgt und teilweise sogar mit dem Tod bestraft. 1852 wurde die „Unzucht mit Personen desselben Geschlechts“ als Verbrechen im Strafgesetzbuch kodifiziert. In der Zeit der NS-Diktatur konnten als homosexuell Verurteilte in Konzentrationslager interniert werden, wo sie mit einem rosa Winkel speziell gekennzeichnet wurden und geringe Überlebenschancen hatten. Auch nach Ende des Krieges blieb die gerichtliche Verfolgung weiter aufrecht und intensivierte sich in den 1950er Jahren sogar. Bis zur Aufhebung der gesetzlichen Diskriminierungen homosexueller Personen im Strafrecht dauerte es bis 2002, zur Öffnung der Ehe bis 2019 und heute noch ist die völlige rechtliche Gleichstellung nicht erreicht. Beim Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität bestehen nach wie vor gesetzliche Lücken.
„Mein Ziel ist es, auf die spezifischen Herausforderungen der LGBTIQ*-Community aufmerksam zu machen und dem Thema in Linz Raum zu geben. Ein wichtiges Element davon bildet die fundierte Erforschung der noch unbekannten Diskriminierungen und Verfolgungen in der Vergangenheit. Die Stadt Linz setzt sich umfassend mit der Aufarbeitung ihrer NS-Geschichte auseinander. Mit dem Fokus auf das Thema LGBTIQ* können wir nun eine klaffende Lücke in der Erforschung der Stadtgeschichte endlich schließen. Durch die Darstellung der Ereignisse und Schicksale der Betroffenen schafft das Forschungsprojekt ein Bewusstsein für die historische Dimension von homophoben Haltungen. Die Ergebnisse des von mir initiierten Projektes stellen eine wichtige Grundlage für weitere Projekte und die Antidiskriminierungsarbeit des LGBTIQ*-Ressorts dar. Denn Ziel ist, dass alle Linzer*innen unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung und Identität Respekt erfahren und eine Lebenswelt frei von Diskriminierung vorfinden“, sagt die Linzer LGBTIQ*-Referentin Vizebürgermeisterin Tina Blöchl.
„Die Stadt Linz hat als ehemalige ,Führerstadt‘ eine besondere Verantwortung, bei der Aufarbeitung der Verbrechen des NS-Regimes. Das Archiv der Stadt Linz leistet dazu seit langer Zeit einen sehr wichtigen Beitrag. Die Verfolgung homosexueller Personen in Linz ist bis dato kaum erforscht und ich danke allen Beteiligten, dass wir nun zusammen dieses Projekt auf den Weg bringen können. Damit soll das Leiden der Opfer endlich sichtbar und Teil der kollektiven Erinnerungskultur werden. Wichtig ist auch, die Kontinuität der Verfolgung im Blick zu haben, denn diese hat weder mit der NS-Diktatur begonnen noch hat sie 1945 geendet. Heute ist Linz Teil des Rainbow-City-Netzwerkes und mit diesem Projekt wollen wir auch verdeutlichen: Homo- und Transphobie haben in unserer Stadt keinen Platz“, betont die für das Archiv der Stadt Linz zuständige Bildungsstadträtin Mag.a Eva Schobesberger.
LGBTIQ*-Programm der Stadt Linz
Das 2021 im Gemeinderat beschlossene LGBTIQ*-Konzept fußt auf sechs Säulen, denen ein umfassender Maßnahmenkatalog zugeordnet ist. Das Projekt der historischen Aufarbeitung umfasst drei dieser sechs Säulen: Bekenntnisse der Stadt zur Gleichstellung, Kunst & Kultur sowie Aufklärung & Prävention. Mit der wissenschaftlichen Untersuchung bekennt sich die Stadt Linz zu ihrer geschichtlichen Verantwortung. Darüber hinaus schafft das Projekt durch die Darstellung der Ereignisse und Einzelschicksale ein Bewusstsein für heute noch stattfindende Diskriminierung.
Historischer Hintergrund
Bereits seit dem Mittelalter waren homosexuelle Personen auf dem Gebiet des heutigen Österreich Verfolgungen ausgesetzt gewesen. In der Frühen Neuzeit intensivierte sich die Verfolgung unter dem Titel „sodomistische Sünde“ bzw. „Unzucht wider die Natur“ sogar derart, dass die Todesstrafe dafür festgelegt wurde. Erst 1787 hob Kaiser Joseph II. die Todesstrafe für homosexuelle Handlungen wieder auf. Der Gedanke, dass Homosexualität „wider die Natur“ sei, hatte jedoch Bestand. 1852 wurde die „Unzucht mit Personen desselben Geschlechts“ als Verbrechen im Strafgesetzbuch kodifiziert. Dieser § 129 Ib bezog im Gegensatz zu Gesetzen anderer Länder wie Deutschland auch homosexuelle Frauen mit ein. Der Strafrahmen betrug bis zu fünf Jahre schweren Kerkers, welcher aufgrund des Milderungsrechts der Richter aber selten ausgeschöpft wurde. Vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten war Österreich europaweit „führend“ bei der gerichtlichen Verurteilung Homosexueller.
In Deutschland wurde der bestehende § 175 RStG 1935 von den Nationalsozialisten verschärft. Nun wurden alle sexuellen bzw. romantischen Kontakte zwischen Männern verfolgt, anstatt „nur beischlafähnliche“, und der Strafrahmen für schwere Fälle wurde auf ein bis zehn Jahre schweren Kerker festgelegt. Nach diesem Gesetz Verurteilte konnten auch in Konzentrationslager geschickt werden, wo sie mit einem rosa Winkel speziell gekennzeichnet wurden und geringe Überlebenschancen hatten. Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich blieb der § 129 Ib weiterhin in Geltung, jedoch wurden später die schärferen Strafbestimmungen aus dem § 175 RStG übernommen. Im Gegensatz zu Deutschland wurden damit in Österreich im Nationalsozialismus auch homosexuelle Frauen durch die Gestapo und die Kriminalpolizei verfolgt.
Nach dem Ende des Krieges blieb der § 129 Ib in Österreich in Geltung, und die gerichtliche Verfolgung von Homosexualität intensivierte sich sogar, bis die Zahl der Verurteilten 1955 ihren Höhepunkt erreichte. Auch nach der Aufhebung des Paragraphen im Jahr 1971 wurden die darauf basierenden Vorstrafen nicht getilgt. Bis zum Ende aller gesetzlichen Diskriminierungen homosexueller Personen im Strafrecht dauerte es bis 2002 und bis heute werden die auf den aufgehobenen Gesetzen beruhenden Vorstrafen nur auf Antrag getilgt. Eine Entschädigung basierend auf dem Opferfürsorgegesetz blieb den unter den Nationalsozialisten verfolgten homosexuellen Personen bis 2005 verwehrt.
Inhalte des Projekts
Eine umfassende wissenschaftliche Untersuchung für den Raum Linz fehlt bislang. Das soll nun durch dieses Projekt geändert werden. Durch die Darstellung der Ereignisse und Schicksale der betroffenen Personen kann ein Bewusstsein für die Verfolgung während des Nationalsozialismus geschaffen werden, während zugleich die Stimmen und Geschichten der Opfer sichtbar gemacht und ihr Leiden anerkannt werden.
Die Erforschung der Homosexuellenverfolgung im Nationalsozialismus in Linz wird hauptsächlich auf der Auswertung überlieferter Gerichtsakten im Oberösterreichischen Landesarchiv basieren. Um eine systematische Analyse dieser Akten zu ermöglichen, sollen die relevanten Informationen in eine detaillierte Datenbank eingegeben werden. Diese Datenbank wird anschließend als Grundlage für verschiedene wissenschaftliche Beiträge dienen. Durch die Erfassung von Parametern wie beteiligtem Gerichtspersonal, Richter*innen, Zeug*innen, Tatbeteiligten usw. können bisher möglicherweise unentdeckte Zusammenhänge oder persönliche Netzwerke aufgedeckt werden, ähnlich wie es bereits bei den Wiener Projekten „Namentliche Erfassung der homosexuellen und transgender NS-Opfer aus Wien“ und „Die Strafverfolgung homosexueller Handlungen durch die NS-Militärgerichtsbarkeit in Wien“ der Fall war. Die daraus resultierenden Erkenntnisse werden anonymisiert veröffentlicht.
Nach Abschluss der Dateneingabe in die Datenbank wird diese sämtlichen am Projekt beteiligten Forscher*innen zur Auswertung zur Verfügung gestellt. Darauf aufbauend sollen vielfältige Beiträge entstehen. Dabei werden, soweit möglich, auch andere Quellen herangezogen.
Da es sich bei dieser Erforschung um ein komplexes Thema mit vielen verschiedenen Facetten handelt, ist die Mitwirkung ausgewiesener Expert*innen in diesem Bereich von besonderer Bedeutung. Bereits im Vorfeld konnten mehrere Personen und Institutionen mit entsprechender Expertise und Erfahrung als mögliche Mitwirkende gewonnen werden. So war das Archiv bereits mit Wissenschaftler*innen von QWIEN – Zentrum für queere Geschichte, Wien, des Instituts für Legal Gender Studies an der JKU und des Instituts für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte an JKU bezüglich einer Mitwirkung am Projekt in Kontakt.
Die HOSI Linz und weitere Vereine der LGBTIQ*-Arbeitsgruppe stehen dem Projekt positiv gegenüber. Bei der Umsetzung ist eine regelmäßige Einbindung der Linzer Community angedacht.
Präsentation der Ergebnisse
Die Ergebnisse der Forschungsarbeit sollen bis 2026 vorliegen und in einem Sammelband mit unterschiedlichen wissenschaftlichen Beiträgen präsentiert werden. Der Schwerpunkt soll zwar auf die Verfolgung im Nationalsozialismus gelegt werden, jedoch wird auch die Situation vor 1938 und nach 1945 beleuchtet, um den größeren historischen Kontext der Verfolgungsgeschichte homosexueller Personen in Österreich im 20. Jahrhundert darzustellen.
Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Darstellung einzelner – anonymisierter – Fälle, die einen Einblick in die Situation der Verfolgten und ihre Schicksale ermöglichen. Die Verfolgung weiblicher Homosexualität, eine österreichische Besonderheit innerhalb des nationalsozialistischen Deutschen Reichs, wird in einem eigenen Beitrag thematisiert. Ein weiterer Aspekt wird Homosexualität als Denunziationsgrund sein, exemplarisch dargestellt an der Kampagne der Nationalsozialisten gegen Angehörige des Linzer Ordens der Barmherzigen Brüder.
Insgesamt soll der Sammelband einen fundierten Überblick über die Verfolgung homosexueller Personen in Linz bieten und dadurch zum besseren Verständnis und zur Aufarbeitung dieser historischen Ereignisse beitragen. Die Beiträge des Sammelbandes zielen darauf ab, das Thema für Linz umfassend und breitgefächert zu behandeln, während gleichzeitig eine verständliche und zugängliche Darstellung für ein breiteres Publikum gewährleistet bleiben soll.
Die wissenschaftliche Aufarbeitung wird dazu beitragen, die Verfolgung von homosexuellen Personen im Nationalsozialismus sichtbar zu machen und sie zu einem Teil der kollektiven Erinnerungskultur werden zu lassen, damit diese historische Ungerechtigkeit nicht in Vergessenheit gerät. Das Projekt ist damit ein Zeichen der Anerkennung des Leidens von homosexuellen Personen. Gleichzeitig fördert es das Verständnis und die Sensibilisierung für die Mechanismen von Diskriminierung, Ausgrenzung und Verfolgung in der Gegenwart. Die Ergebnisse werden eine tiefergehende thematische Öffentlichkeitsarbeit ermöglichen. Die Stadt Linz setzt sich somit nachhaltig mit ihrer LGBTIQ*-Geschichte auseinander.
(Informationsunterlage zur Pressekonferenz mit Vizebürgermeisterin Tina Blöchl und Bildungsstadträtin Mag.a Eva Schobesberger zum Thema „Aufarbeitung der Verfolgung von homosexuellen Personen unter dem NS-Regime in Linz“)
Weiterer Gesprächspartner:
Dr. Walter Schuster, Direktor des Archivs der Stadt Linz
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